Frankreich kommt - oh là là très chic - hereingestöckelt und konzentriert sich erstmal aufs Wichtigste, den Nagellack. Holland ist nur ganz kurz da, Holland droht in der Nordsee abzusaufen. Deutschland und England sind sich sowieso zu fein zu kommen. Bulgarien hat den anderen nichts zu bieten außer seinen Roma und seinen 150 Wurstsorten, Bulgarien wird nicht gemocht. Polen aber auch nicht, die haben ja noch nicht mal den Euro. Flandern und die Wallonie streiten sich wie immer, ob sie wirklich noch zusammen Belgien sein sollen, Irland möchte es endlich mal wieder partymäßig richtig krachen lassen. Die Türkei - Kopftuch, Goldkettchen, Rolex - schaut immer mal wieder rein, findet dann aber, dass man mit den arabischen Verwandten einfach bessere Geschäfte machen kann. Europäische Klischees und Vorurteile sind das Thema des Theaterstücks „Voll auf der Kippe“, das Katja Hensel für die Europaschulen in NRW geschrieben hat: Die fiktive Klasse „Europa“ wartet auf eine Schulpsychologin, die ihre Konflikte klären soll, die kommt aber nicht, und bald liegen sich alle in den Haaren, jeder will an die Kasse, weil der eigene Rettungsschirm mal wieder klemmt, aber Finnland versteckt den Schlüssel und rückt ihn nicht raus. Die Schauspieler des Literaturkurses der Jahrgangsstufe 11, der am Abtei-Gymnasium am 6. und 7. Mai das Stück auf die Bühne brachte, spielten keine Personen, sondern Länder, und das erwies sich als echte Herausforderung, zumal der Text von Katja Hensel einige Male ziemlich knapp an Kalauer und Klamotte vorbeischrammt. Aber dank der überzeugenden Bühnenpräsenz etlicher Mitwirkenden (herausragend: Eileen Breuer als Finnland, Bennet Maraun als Irland und Sabrina Münch als Bulgarien) amüsierte sich das Publikum bestens und die Grundidee des Sich-Abarbeitens an Vorurteilen, um zum Eigentlichen, zur Idee einer echten Europäischen Union zu kommen, konnte ihre Wirkung entfalten. Da hatte Regisseurin Daniela Epe allerdings nachgeholfen: Für den Schluss, als die Türkei in die Europa-Kasse schaut und darin etwas Überraschendes entdeckt, engagierte sie den Sportkurs von Honorine Tomberg und die Bläsercombo von Anja Schreiner, die europäische Tänze zur Aufführung brachten und damit signalisierten: Eigentlich geht´s in Europa nicht um Geld, sondern um den unermesslichen Reichtum der verschiedenen Kulturen, die einander bereichern und ergänzen können, wenn man endlich aufhört, sich über Euros und Rettungsmilliarden zu streiten.
Bettina Landgraf