Bürgerbegehren – Vom Mythos des mündigen Bürgers.
Fortschreitender Vertrauensverlust in Politik am Beispiel der Kommune Pulheim.
Seit Jahrzehnten durchziehen politische Standortfragen die Bildungslandschaft Deutschlands. Von der Hochschule bis zum Kindergarten werden inzwischen auf der verbalen Ebene ’martialisch’ anmutende Szenarien bemüht.
Vom ’Angriff aufs Gymnasium’ ist die Rede, von ’gutbürgerlicher Bildungspolitik’, die es geschafft habe‚ ihre Kinder jeweils so im Berufsleben zu positionieren, dass vermeintlich sozial Schwächere flächendeckend in der Bundesrepublik jahrzehntelang abgehängt worden seien.’ Eine herkunftsbedingte Chancenungleichheit würde es aufrechterhalten, echte Chancengleichheit aushöhlen, dieses deutsche, dreigliedrige Schulsystem; attestiert von vermeintlich am reinen Kindeswohl interessierten und orientierten Studien, auf nationaler und internationaler Ebene. (parteinahe Stiftungen, Pisa-Gruppierung, OECD etc.)
Und auch das duale Bildungssystem wurde nun entschieden auf den Prüfstand gestellt – einst ein Markenzeichen für eine Haltung und ein Denken, dass ein ’Made in Germany’ zu Weltgeltung verhalf, nicht nur in der Wirtschaft, oder bspw. im Steuerrecht, sondern auch in der Grundlagenforschung.
Vor nichts und niemanden wird auch in dieser seit Jahren politisch geschickt agitierten Diskussion des Bildungswahnsinns und vermeintlichen Bürger-Demokratie haltgemacht. Warum auch – Hinterfragen, Vorschlagen, Verhöhnen, Täuschen und Zerstören gehöre doch schließlich zur politisch-konzeptionellen Gedankenentwicklung dazu.
Der Entwicklung tragfähiger Perspektiven für eine Bildungslandschaft in einer Gesellschaft, die demographisch so auf dem Prüfstand steht wie die unserige, scheint nur noch eine randständige Bedeutung zuzukommen. Emotionalisierung ist angesagt in Zeiten medialer und politischer Quotenjägerei. Emotionalisierungsprozesse, deren Ergebnisse häufig genug nichts anderes mehr darstellen als föderalistische Kompromissverschmutzung.
Und durchweg alle Gruppierungen, die an einer tragfähigen Meinungsbildung zur Bildungszukunft beteiligt sein wollen, scheinen sich einig. Landesvertreter, Kommu-nalpolitiker, Schulträger, Schulleiter und Aufsichtsgremien wie Bezirksregierung setzen unisono auf das ’’Beste zum Wohle der Kinder’’.
Doch dann hört es mit der Einigkeit offensichtlich auch schon auf. Mehr noch, die Wahl der Wort-Waffen im Prozess der politischen Meinungsbildung und der bürgerlichen Mehrheitsbeschaffung findet sich geradezu ins Irrationale und Abenteuerliche überzeichnet. Die Kommunikation ist empfindlich und zutiefst gestört!
Längst haben sich Anhänger und Gegner unterschiedlicher Schulformen, fast religiös anmutend, gruppiert: kommunal-, landespolitisch, bundesweit. Standards, die definieren sollen, was Gemeinschaftsschule, was Gesamtschule, was ein zukunftsfähiges, dreigliedriges Schulsystem ausweisen muss und wird, werden wie alleinseligmachende Credos gehandelt. Und sie verfangen sich zunehmend in den ungelösten Problemlagen unserer Staats- und Wirtschaftsarchitektur. Ja, sie werden selbst Teil eben dieser ’Müllberge’, die - selbst bei gewolltem positivem Denken - wie Schatten auf unserer Zukunft liegen.
Und so finden sich Diskussionen zum Thema ’Bildungslandschaft’ in einer gelebten Demokratie, unmittelbar vor Ort, längst nicht mehr von aufhellendem Verständnis getragen, sondern von üblen Vorurteilen, Halbwahrheiten und Täuschung durchzogen. Das gilt für die Nord-Süd-Achse. Und das gilt ebenfalls für die West-Ost-Achse der Republik.
Diese missbräuchliche Instrumentalisierung von Haltungen, Ideen, Einschätzungen und Standpunkten, trägt wesentlich zu einem weiteren Rückzug vieler Bürger vor der Komplexität formeller und informeller Meinungsbildung bei. Der Begriff im Prozess dauerhafter politischer Machterringung dafür mag lauten: Politikverdrossenheit.
Das Beispiel Pulheim
Wie grob fahrlässig Politik und Verwaltung mit dem Vertrauen der Bevölkerung, somit mit unserem Vertrauen umgehen, zeigt sich einmal mehr am Beispiel der Stadt Pulheim.
Pulheim, Sinthern, Geyen, Stommeln, etc., Brauweiler auch, Orte, die die Landespolitik in der bildungspolitischen Schullandschaftsdebatte im Jahr der Landtagswahlen längst auf dem Schirm hat, erfahren aktuell eine beachtliche Erschütterung.
Ein Aufbruch in die Zukunft für unsere Kinder solle es sein, eine Verzahnung müsse Greifen in der Bildungskarriere (welch ein Wort!) - die Zeit der sozialen Benachteiligung und Noten-Diskrimierung vorbei - so heißt es insbesondere aus angeblich unabhängigen, kommunalverwaltungsnahen Expertenkreisen. Und aus kommunal-politischen und landespolitischen Mündern sowieso.
Es fällt mir als betroffener Vater und Bürger schwer, dabei parteifarblich eindeutige Zuordnungen, hier CDU, dort SPD, da Grüne oder FDP und andre auch, vorzunehmen.
Nun macht ein Bürgerbegehren die Runde. Aufmachung und Art getragen von der Satzung der Stadt Pulheim, um 2005 formuliert. Ausdrücklich verlangt wird vor diesem rechtlich verankerten Hintergrund, Stimmenempfehlungen der Ratsfraktionsmitglieder im Rahmen des anstehenden Bürgerentscheids transparent zu machen.
Nun mögen zornige Bürger und auch Ratsmitglieder den Kopf schütteln ob solcher Art verwaltungstechnischer und kommunalpolitischer Transparenz. Stimmempfehlungen als Fingerzeige durch eine wüste und zunehmend zerschossene Bildungslandschaft? Natürlich kann man Verrat an der persönlichen Meinungsbildung, der Privatheit des Denkens ob eines solchen Vorgehens wittern. Und in unserer paranoiden und aufgeheizten Medienlandschaft, in der die Hastigkeit des Alltags zwingt an der Oberfläche zu bleiben, verfangen wir uns nur allzu schnell mit solchen Gedanken ein weiteres Mal an Nebenkriegsschauplätzen.
Die täglichen Meldungen in den Nachrichten bestätigen es doch, was auch hier sich bei uns vor der Haustür, nicht nur in Süddeutschland oder in Hessen, anderswo auch, im Rat abspielen mag: die Wandlung unserer von einst ausschließlich parteilichen Zuordnungen - samt Fraktionszwang - getragenen Demokratieverständnis hin zu einer themenbezogenen Basis-Demokratie mit dem ’mündigen Bürger’ im Fokus.
Wirklich?
Wenn wir uns im Rat nicht einigen können über einen erforderlichen Prüfantrag zur Gesamtschule, wie hier offensichtlich in Pulheim im Herbst vergangenen Jahres geschehen, dann machen wir eben ein Bürgerbegehren. Aber, liebe Bürger, denkt bloß nicht, das wir Euch alles erzählen, was wir wissen.
Der parteipolitische Ratskonflikt wurde vor Monaten auf die Straße getragen, so unser Eindruck. Hineingezogen werden sollten wir Bürger verständlicherweise – aber auf welchem Informationsniveau?
Gespräche beginnen. Und eine Bürgerinitiative bspw. und ein Familiennetzwerk nehmen sich der Problematik ’Schule zum Wohle unserer Kinder ’ engagiert an. Bürgernah suchen sie den Dialog zu uns, den mandatslosen Bürgern, - seien sie doch enttäuscht von der Ratspolitik.
In ’ihrem’ Schlepptau’ ebenfalls betroffene Eltern, solche ohne politische Anbindung, so sagen sie.
Doch etwas stimmt nicht!
’Bürgeroffene Informationsaufbereitungsabende’ erhalten bei dem inzwischen immer enger werdenden Zeitfenster für Befürworter und Gegner eines - möglicherweise durchaus diskussionswürdigen Schulkonzeptes - zunehmend den Anstrich politischer Tarnkappenveranstaltungen.
Denn erst auf entschiedenes und mehrfaches Nachfragen, zu unterschiedlichen Zeiten und Orten in den letzten Wochen, geben sich führende Vertreter sowie weitere Mitstreiter dieser Initiativen ’politisch’ zu erkennen. Und lassen uns damit nun unmissverständlich wissen, zu jedem Zeitpunkt umfänglich über die Hintergründe des Scheiterns eines kommunalen Prüfantrages zur Gesamtschule gewusst zu haben: der möglichen Geburtsstunde des Pulheimer Bürgerbegehrens.
Sie, mehrheitlich Mandatsträger und eben doch unmittelbar beteiligt an Lagerkämpfen zwischen Fraktionen, gaben uns, Eltern aus Brauweiler lange gegenüber vor, nichts zu erhellenden Hintergrundsinformationen um den Prozess des Bürgerbegehrens sagen zu können.
Und während Vertreter dieser Initiativen auf unsere Dialogfähigkeit hofft, uns den ’mündigen Bürger’ in einer gelebten Demokratie ans Revier heften will, werden unter dem anstehenden Zeitdruck nun offenkundig politische Interna vor unser aller Augen anlässlich vermeintlicher Informationsveranstaltungen ausgeplaudert: ’’Brauweiler - sonst nichts. Wie kommen sie denn auf Pulheim? War doch von Anfang an klar!’’
Nun, zum Ausklang eines Informationsabends im evangelischen Bürgerzentrum in Brauweiler vergangener Woche fiel ein schwerwiegender Satz. Dergestalt, dass das Pulheimer Schulzentrum zu keinem Zeitpunkt ernsthaft als Modell für eine Schulumwandlung herhalten würde. Auch das dem Stadtrat längst bekannte Sachverständigengutachten lasse bspw. keinen Zweifel an der Präferenz des Standortes aufkommen: ’Brauweiler Schulzentrum’.
Diese Eingeständnisse zu einem Zeitpunkt, in der auch wir als Eltern schulpflichtiger Brauweiler Kinder nachweisbar mails seitens der Initiativen erhalten mit der Bitte, meinungsbildend im Sinne eines ’sozial verpflichtenden Anliegens’ auf die Elternpflegschaft des Brauweiler Gymnasiums zuzugehen: ’Denn es gehe eben nicht um Brauweiler.’ Und falls doch, nun, dann eben ein neues Bürgerbegehren gegen diesen Standort.
Ist das die Zukunft politischer Dialoge in einer Bürgergesellschaft? Es ehrt sie, dass sie uns für so wichtig halten, mit zu moderieren. Nun, sie wissen. Wir ’unorganisierte’ Bürger haben durchaus einen eigenen Standpunkt. Und indem wir innehalten und über soziale Verantwortung nachdenken, vielleicht anders als sie, jedenfalls nicht kommerzialisierend, sind wir nicht a-sozial.
Ja, sie wissen mehr als wir, Initiatoren und Politiker, - so denken sie. Eine Augenhöhe mit uns Bürgern könne und brauche es nicht zu geben. Oder vielleicht eben nur dann, wenn man sich, wie wir, intensiv, mit Beharrlichkeit, Glück und Zufall die notwendigen Informationen zu beschaffen weiß.
Der Elternwille - ein Maß ohne Rahmen?
Es mutet abenteuerlich an, dass wir als Bürger im Rahmen eines Bürgerbehrens zu einem Stimmentscheid aufgefordert werden: ohne, dass das zur Abstimmung anstehende Konzept auch nur annähernd tragfähig inhaltlich strukturiert scheint.
Weder die Frage der Finanzierung, - übrigens ist bald Kämmererwahl in Pulheim -, noch die Frage nach Infrastruktur / Räumlichkeit, geschweige Fragen nach dem Sinn der im Hintergrund gehandelten Drohkulisse ’’Gemeinschaftsschule’’, noch die Frage nach den tatsächlichen Standards, die Kindern, die derzeit Realschule und Gymnasium besuchen, begegnen wird, findet (n) sich konzeptionell beantwortet.
Frei nach dem Motto: Ich bestelle mir einen Jaguar, habe weder Geld noch Garage, treibe aber die Bürger-Meute um mich mit dem Bild des ‚Sozial Guten’ so vor mir her, dass sie mir meinen Wunsch schon erfüllen wird.
Fassen wir zusammen:
- Das Konzept der Gesamtschule wurde im Rat der Stadt Pulheim offensichtlich bewusst nicht als Tagesordnungspunkt mit Antragsbegehren zugelassen. (Denken hierzu kann man Vieles, auch mit Blick auf die klare Haltung des einstigen Ministerpräsidenten zum dreigliedrigen Schulsystems – nun eine Abrechung?)
- Statt uns Bürger jedoch transparent und vertrauensbildend über diesen kommunalen Konflikt sachlich zu informieren, machen Bürger-Initiativen auf sich aufmerksam, bis auf wenige ehrenwerte persönliche Ausnahmen ohne weiterführende Verweise auf kurze Amtswege, die ihnen zur Verfügung stehen.
- Sie suchen uns zu instrumentalisieren: Das Konzept der Gesamtschule gelte als etabliert und unantastbar – keine Gefahr fürs Gymnasium. (wirklich: Spiegel, Fokus, Welt, F.A.Z etc. hätten demnach sämtlich falsch in vergangenen Jahren recherchiert) :
Kleinere Klassenverbände, mindestens vierzügig, fördernde Lernzugänge bei einem gemeinsamen, längeren Lernen, und gewährleistete Leistungsheterogenität aufgrund einer weiteren, tragenden Säule, der Quotierung sowie der Zeithorizont - G 9 - sprechen eine eindeutige Sprache.
Mit der Abschaffung eines Gymnasiums, so die Befürworter einer weiteren Gesamtschule in unserem Einzugsgebiet von 55 000 Menschen, habe dies nichts zu tun. (’’Allenfalls, vielleicht, mit einer Schädigung. Es gehe doch um die Benachteiligten. Und um die Verhinderung einer Gemeinschaftsschule.’’ Und das bei einer befürchteten Wandlung der Schulform Lehrkörper um Versetzung bitten werden, Bindungsgemeinschaften zwischen Schülern und Lehrer somit über alle Jahrgangsstufen aufgebrochen und abgebrochen werden, gehöre dazu.’ ’ Eine interessante Psycho-Logik bricht sich in diesen Worten Bahn!
- Wie oben erwähnt, ist das Konzept ’’Gesamtschule’’ gegenwärtig nicht transparent für uns Bürger durchkalkuliert, die Standortfrage genauso ungeklärt, wie der weitere politische Verfahrensweg .
- Das Schulgesetz sieht Umwandlungen unter Berücksichtigung des Elternwillens, - eine nicht zu unterschätzende Größe in Zeiten des hektischen und erschöpfenden Bildungswahnsinns -, ausdrücklich vor. Mit einem Antrag an die Kultus-ministerkonferenz könne man bewährte Standards im Konzept Gesamtschule aufweichen, ein modifiziertes Pilotprojekt folglich über Forschungsmittel finanzieren. Dies auch, um ein bestehendes Gymnasium in eine Gesamtschule umzuwidmen. So eine Mitteilung aus dem Landtag, so eine gleichlautende Mitteilung aus den Reihen der Rats-SPD vergangene Woche! Und eine tragende Säule des Gesamtschulen-Standards wie bspw. die Quotierung könne man im Rahmen eines dann beantragten Modellversuchs aufweichen, indem man die Prozentzahlen auf eine bestehende Gegebenheit wie einem existierenden Gymnasium hin verändert. Das ginge, ’Bildungsoffensive’ meint das wohl - verlockende Mittelzuweisungen der Landesregierung finden sich als Anreize im Überfluss. Ob das alles so einfach geht mit dem Umwidmen und Verändern? Natürlich nicht, sagen erfahrene Verwaltungsrechtler! Aber die Angst der Bürger, - mit der lässt sich so schön spielen. ((Und weshalb dann auch noch das Thema Gemeinschaftsschule als weitere Drohkulisse? (s. Prüfantrag))
Und vielleicht ist diese Angst vor Täuschung erfahrungsbedingt doch berechtigt!
- Zum Standard der Leistungsheterogenität hat sich die Rechtssprechung bereits vor gut zwei Jahren eindeutig geäußert, genau diesen Passus für angreifbar gehalten. Mag sein aus anderen als den hier vorgetragenen Gründen, ging es doch um Formfehler in der Umsetzung. Doch ein weiteres Einfallstor – wenngleich missverstanden im weiten Feld möglicher Umwidmungen eines Gymnasiums –scheint aktuell geschaffen für den Phantasiereichtum einer bildungs-chancengleichen Gesellschaft. (Ein schönes Bild, doch menschliche Charakterentwicklung kommt nicht an Orwell’s ’Animal Farm’ vorbei, sind doch immer ’einige gleicher als gleich’ - dies als ein existentialistisches Bedenken an alle Parteien.)
Wir sind Bürger, ausdrücklich nicht als sachkundig etikettiert, unterliegen wir bspw. nicht einer sachbezogenen Verschwiegenheitspflicht. Fragen stellen wir und erwarten klare Antworten und klare Eingeständnisse – aber keine Täuschungsmanöver!
Ja, es hat ’was’, zu denken, man könne als Bürger Politik und Verwaltung vor sich her treiben. Aber ein Narr, der denkt er könne.
Wir werden, so auch an die Freunde der Bürgerinitiative und des Familiennetzwerkes Netzwerkes, nichts weiter tun als abzustimmen.
Die Chance auf einen ehrlichen und offenen Dialog mit uns Bürgern, hat eine große Anzahl Pulheimer Ratsmitglieder mit ihrer Maskerade auch leider diesmal vertan.
Bürger Dr. Wolf-D. Stelzner, auch namens weiterer Eltern.